Im 3D-Druck hergestellte Brillen (Foto: NLO/HEADRIX
Die Ambition ist klar formuliert: Berlin strebt danach, bis zum Jahr 2030 die unangefochtene 3D-Druck-Hauptstadt Europas zu werden. Dieses Ziel ist mehr als nur ein politisches Wunschdenken; es ist ein strategisches Bekenntnis zur vierten industriellen Revolution, getragen von einer dynamischen Welle kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU). Die Additive Fertigung (AF), oder industrieller 3D-Druck, revolutioniert die Produktionslogik und bietet gerade der mittelständisch geprägten deutschen Wirtschaft immense Chancen, die über die reine Prototypenfertigung weit hinausgehen und in die flexible, nachhaltige Serienproduktion führen.
Der globale Markt als Wachstumsmotor für Berliner Innovation
Die Berliner Aufholjagd wird durch beeindruckende globale Marktzahlen untermauert. Der weltweite 3D-Druck-Markt, der 2024 auf rund 19,33 Milliarden USD geschätzt wurde, soll bis 2032 auf über 101 Milliarden USD wachsen, was einer jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von rund 23,4% entspricht. Experten prognostizieren allein für industrielle 3D-Drucker bis 2025 ein Wachstum von rund 15%. Deutschland spielt in diesem Feld eine führende Rolle, wobei insbesondere die Dienstleistungssparte und spezialisierte Nischenmärkte das Wachstum vorantreiben. Berlin ist dabei nicht nur Konsument, sondern gestaltender Akteur.
Die industrielle Additive Fertigung unterscheidet sich grundlegend von traditionellen Methoden. Im Gegensatz zur subtraktiven Fertigung – dem Abtragen von Material, das hohen Verschnitt verursacht – bauen Verfahren wie das Selektive Lasersintern (SLS) oder Selektive Laserschmelzen (SLM) Bauteile Schicht für Schicht aus Pulver oder Draht auf. Das ungenutzte Material im Pulverbett kann dabei recycelt werden. Dieser Prozess führt zu einer nahezu Zero-Waste-Produktion und erlaubt die Herstellung komplexester Geometrien und Gitterstrukturen, die mit Guss oder Fräsen undenkbar wären. Die Wirtschaftlichkeit für Kleinserien und individualisierte Produkte (Losgröße 1) ist dadurch unschlagbar, da hohe Investitionen in Gussformen oder Werkzeuge entfallen. Dies ist der Kernvorteil, den über 90% der deutschen AF-Unternehmen, die der KMU-Definition entsprechen, nun nutzen.
Die Berliner Brillenschmiede: Wie Individualisierung die Losgröße 1 skaliert
Die Berliner Manufaktur HEADRIX liefert das perfekte Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung dieser neuen Ökonomie in einem klassischen Konsumgütermarkt. HEADRIX produziert Brillenfassungen aus nachhaltigen, pflanzenbasierten Pulvermaterialien (Plantrix) mittels des SLS-Verfahrens lokal in Berlin.
Der Kundennutzen liegt in der perfekten Passform: Mittels eines 3D-Gesichtsscans und einer App werden die präzisen Maße des Kunden erfasst. Ein parametrisches Design passt das Modell in Sekundenschnelle an die Anatomie an, ohne das Kerndesign zu verändern. HEADRIX realisiert so nicht nur die Maßanfertigung zu Serienkosten, sondern verkürzt auch die Lieferketten und bietet eine langfristige Reproduzierbarkeit von Ersatzteilen. Der wirtschaftliche Erfolg dieses Ansatzes spiegelt sich im globalen Branchenumfeld wider: Unternehmen in diesem Segment konnten ihre Umsätze durch rationalisierte Produktion um bis zu 60% steigern und die Markteinführungszeit von sechs Monaten auf drei bis vier Wochen reduzieren. HEADRIX beweist, dass „Made in Germany“ im 3D-Druck ein Siegel für Nachhaltigkeit und hyper-personalisierte Qualität ist.
Das Berliner Ökosystem: Von der Software bis zum Großformat
Die Hauptstadtregion hat sich zu einem der dichtesten 3D-Druck-Cluster in Europa entwickelt, maßgeblich gestützt durch die AMBER-Initiative (Additive Manufacturing Berlin-Brandenburg). Der Erfolg der Hauptstadt gründet auf einer breiten Palette von Spezialisten, die das gesamte Spektrum der AF-Wertschöpfungskette abdecken:
1. Software und Prozessintelligenz:
Die Digitalisierung des Designs ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche physische Fertigung. Das Berliner Softwareunternehmen trinckle nimmt hier eine Schlüsselrolle ein. Mit Lösungen wie der Additive App Suite ermöglicht es trinckle auch KMU ohne tiefes CAD-Know-how, schnell fertigungsgerechte Bauteile zu konstruieren – eine enorme Senkung der Einstiegshürde. Flankiert wird dies durch hochspezialisierte Start-ups wie 1000 Kelvin, die KI-basierte Optimierungssoftware für die Laser-Pulverbettfusion (L-PBF) entwickeln. Diese Software verbessert die Qualität und Reproduzierbarkeit von Metall- und Hochleistungsteilen und ist für anspruchsvolle Industrien von entscheidender Bedeutung.
2. Großformat und Multimaterial-Druck:
Die Skalierung der AF wird durch Unternehmen wie BigRep ermöglicht, die als Pioniere im Bereich der Großformat-3D-Drucker gelten. Sie machen die additive Fertigung für große Bauteile und Funktionsprototypen wirtschaftlich nutzbar und optimieren mit Zubehör wie dem DRYCON-Gerät die Materialhandhabung in industriellen Prozessen. Ergänzend dazu arbeitet das Berliner Startup Quantica an Multi-Material-Druckern und setzt ebenfalls auf KI-basierte Software zur Verarbeitung komplexer Bauteile, die verschiedene Materialeigenschaften in einem einzigen Druck vereinen.
3. Dienstleistung und Marktzugang:
Plattformen wie MakerVerse agieren als effiziente Schnittstelle zwischen Kunden und Fertigungskapazitäten. Sie sammelten kürzlich eine signifikante Finanzierungsrunde ein, um die Skalierung von On-Demand-Fertigungsdiensten voranzutreiben. Dies ist für KMU, die keine eigene Anlage anschaffen wollen, der ideale Einstieg. Flankiert wird dieses Angebot durch lokale Dienstleister wie Überdruck 3D und das 3dklab von 3dk.berlin, die umfassende Services von der Konstruktionsberatung bis zum Rapid Prototyping bieten und so das notwendige Expertenwissen in die breite Wirtschaft tragen.

Querschnittsthema 3D-Druck: Anwendungsfelder der Revolution
Der industrielle 3D-Druck hat sich von einer reinen Technologie für Design-Prototypen zu einem vollwertigen Produktionsverfahren entwickelt, das Branchen übergreifend wirkt:
Luft- und Raumfahrt: Die Branche war einer der frühen Pioniere. Durch Topologieoptimierung können Bauteile leichter und stabiler gestaltet werden. Jedes eingesparte Gramm Gewicht führt über die Lebensdauer eines Flugzeugs zu massiven Kosten- und Treibstoffeinsparungen. Hier werden vor allem metallische Hochleistungsteile für Turbinen und komplexe Hydraulikkomponenten in kleinen, qualitätskritischen Serien gefertigt.
Medizin- und Dentaltechnik: Die Individualisierung von Medizinprodukten ist hier der größte Mehrwert. Individuelle Implantate (Kiefer, Hüfte) und die Serienproduktion von Zahnkronen oder Prothesen werden direkt auf Basis von Patienten-Scans gefertigt. Auch das Drucken von Operationsmodellen zur Vorbereitung komplexer chirurgischer Eingriffe ist ein wachsender Markt. Die Biokompatibilität der verwendeten Materialien ist dabei ein entscheidendes Kriterium.
Maschinenbau und Fertigungshilfen: Hier liegt die Stärke in der schnellen Verfügbarkeit von Werkzeugen, Greifern und Produktionsvorrichtungen. Die Möglichkeit, in kurzer Zeit und ohne Werkzeugbau konturnahe Kühlkanäle in Spritzgussformen zu integrieren, verbessert die Produktqualität und verlängert die Lebensdauer der Werkzeuge. Auch die On-Demand-Ersatzteilfertigung für ältere Industrieanlagen gewinnt massiv an Bedeutung, da so lange Stillstandszeiten vermieden werden.
Automobilindustrie: Neben dem Rapid Prototyping für die schnelle Design-Iteration werden 3D-gedruckte Teile für Hochleistungsfahrzeuge und im Motorsport eingesetzt, wo geringes Gewicht und optimale Geometrie entscheidend sind. Auch die Personalisierung von Innenraumkomponenten und die Kleinserienfertigung von Zubehörteilen spielt eine immer größere Rolle.
Konsumgüter und Design: Von hochfunktionalen, gedruckten Zwischensohlen für Sportschuhe über individuellen Schmuck bis hin zu den Berliner Brillengestellen von HEADRIX – die Fähigkeit, komplexe Geometrien ohne teuren Werkzeugbau zu realisieren, befeuert Kreativität und Designfreiheit.
Die Berliner 3D-Druck-Community beweist, dass Innovation nicht zwingend von Großkonzernen getragen werden muss, sondern von einer agilen, technologieaffinen Mittelstandsstruktur lebt. Mit dem ambitionierten Ziel 2030 setzt die Hauptstadt ein starkes Signal: Der Weg zur europäischen 3D-Druck-Hauptstadt ist nicht nur eine Vision, sondern ein fundierter Fahrplan zur Stärkung der heimischen Industriekompetenz. | mit KI