Ein Zeitungsjungen in Berlin, der die letzte gedruckte Ausgabe der taz zum Verkauf anbietet. (KI-Bild)
Zwischen Aufbruch und Abschied: Die letzte werktägliche Printausgabe der taz
Am 17. Oktober 2025 erschien die letzte werktägliche Printausgabe der tageszeitung, kurz taz. Nach über vier Jahrzehnten täglicher Papierpräsenz verabschiedet sich die linke Berliner Zeitung vom gedruckten Format – zumindest unter der Woche. Die Wochenendausgabe wochentaz bleibt erhalten, doch werktags wird die taz künftig ausschließlich digital erscheinen. Damit ist sie die erste überregionale deutsche Tageszeitung, die diesen Schritt vollzieht.
Die Redaktion inszenierte den Abschied als kreativen Akt: Die letzte Ausgabe enthielt Beiträge von prominenten Autorinnen und Autoren wie T.C. Boyle, Sibylle Berg und Fatma Aydemir. Die Gestaltung übernahm Künstler Christian Jankowski, die Redaktion erzählte ihre Geschichte als fiktiven Agententhriller. Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour würdigte die Zeitung als „faktenbasiert nervend“ – ein Kompliment im besten Sinne.
Rückblick: Von der Nullnummer zur digitalen Avantgarde
Die taz wurde 1978 gegründet, als Teil einer linken Gegenöffentlichkeit. Die erste Ausgabe erschien 1979, handgeschrieben und mit Schreibmaschinenschrift versehen – ein Symbol für den undogmatischen Aufbruch jener Zeit. Die Zeitung positionierte sich früh als Alternative zu den etablierten Medien, parteiunabhängig und basisdemokratisch. Legendär wurde ihre Fehde mit der Bild-Zeitung, deren Chefredakteur Kai Diekmann später ironisch Mitglied der taz-Genossenschaft wurde.
Über Jahrzehnte hinweg behauptete sich die taz als kritische Stimme im deutschen Medienbetrieb. Ihre Genossenschaftsstruktur, ihr investigativer Anspruch und ihre pointierte Kommentierung machten sie zu einem festen Bestandteil der linken Medienlandschaft. Doch die Medienwelt hat sich verändert – und mit ihr die ökonomischen Rahmenbedingungen.
Wirtschaftliche Realität: Warum die taz den Print einstellt
Die Entscheidung, die werktägliche Printausgabe einzustellen, ist kein Ausdruck von Krise – sondern von strategischer Weitsicht. Chefredakteurin Barbara Junge betonte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: „Wir machen es aus einer Position der Stärke raus, wir stellen um, weil wir umstellen können und nicht, weil wir in einer Krise wären“.
Tatsächlich steht die taz wirtschaftlich stabiler da als viele andere Printmedien. Doch die Kosten für Papier, Druck und Vertrieb steigen kontinuierlich. Gleichzeitig sinkt die Nachfrage nach gedruckten Tageszeitungen. Die Leserinnen und Leser konsumieren Nachrichten zunehmend digital – mobil, schnell und interaktiv. Die taz reagiert darauf mit einem konsequenten Schritt: Sie investiert in ihre digitale Infrastruktur und setzt auf das E-Paper sowie die Website taz.de als Hauptkanäle für werktägliche Inhalte.
Digitalisierung als Chance: Neue Formate, neue Zielgruppen
Der Übergang ins Digitale eröffnet der taz neue Möglichkeiten. Inhalte können schneller aktualisiert, multimedial aufbereitet und zielgruppenspezifisch ausgespielt werden. Die Redaktion steht vor der Herausforderung, den typischen taz-Ton – scharf, witzig, unbequem – auch digital zu transportieren. Doch die Chancen überwiegen: Mit Podcasts, Videos, interaktiven Grafiken und Social-Media-Formaten kann die Zeitung neue Lesergruppen erschließen und bestehende stärker binden.
Zudem entfällt ein erheblicher Teil der Fixkosten. Die Einsparungen bei Druck und Logistik ermöglichen Investitionen in journalistische Qualität und digitale Innovation. Die taz bleibt ihrem Anspruch treu, Teil und Stütze einer demokratischen, antifaschistischen Kultur zu sein – nur eben mit anderen Mitteln.
Medienwandel: Ein Modell für andere Tageszeitungen?
Die Entscheidung der taz hat Signalwirkung. Während viele Verlage noch zögern, zeigt die Berliner Redaktion, dass ein vollständiger digitaler Umbau möglich ist – und wirtschaftlich sinnvoll sein kann. Die taz ist nicht die größte Zeitung, aber sie war oft die mutigste. Ihr Schritt könnte andere Tageszeitungen ermutigen, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken.
Denn die Frage ist nicht mehr, ob Print verschwindet – sondern wann und wie. Die taz hat darauf eine Antwort gegeben: selbstbestimmt, kreativ und ökonomisch klug.
Ausblick: Die Zukunft der taz ist digital – und kritisch
Ab Montag nach der letzten Printausgabe erscheint die taz werktags nur noch digital. Die Redaktion bleibt in Berlin, die Haltung bleibt kantig, die Inhalte bleiben relevant. Die Wochenendausgabe wochentaz wird weiterhin gedruckt – als Bindeglied zwischen Tradition und Zukunft.
Die taz verabschiedet sich vom Papier, aber nicht von ihrer Mission. In einer Zeit, in der die freie Presse unter ökonomischem Druck steht, setzt sie ein Zeichen: für Wandel, für Qualität und für digitale Unabhängigkeit.