Friedliche Proteste von CHP-Anhängern in der Türkei nach neuen Verhaftungswellen (KI-Bild)
Einleitung
Die Türkei steht erneut im Zentrum einer politischen Krise. Ein Gerichtsurteil gegen die Führung der größten Oppositionspartei CHP hat eine Welle von Protesten, politischen Spannungen und Berichten über Gewalt ausgelöst. Besonders betroffen sind die Metropolen Istanbul und Izmir, wo es zu massiven Demonstrationen und angeblich auch zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen sein soll. Gerüchte über Internetabschaltungen und Todesfälle unter Sicherheitskräften machen die Runde, während die Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan zunehmend unter internationaler Beobachtung steht.
Hintergrund: Das Urteil gegen die CHP-Führung
Am 2. September 2025 setzte ein türkisches Gericht die Führungsriege der CHP in Istanbul ab. Als Begründung wurden angebliche Unregelmäßigkeiten beim Parteitag im Oktober 2023 genannt. Betroffen ist unter anderem Özgür Çelik, ein enger Verbündeter des populären Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu, der selbst seit März 2025 inhaftiert ist1.
Das Gericht ordnete die „vorläufige Amtsenthebung“ des Vorstands und die Wiedereinsetzung der vorherigen Parteiführung unter Gürsel Tekin an. Die Entscheidung wurde von der CHP als politisch motiviert und „bar jeder rechtlichen Grundlage“ kritisiert1.
Die Rolle von Ekrem İmamoğlu
İmamoğlu gilt als einer der stärksten politischen Gegner Erdoğans. Seine dreifache Wahlsiegserie in Istanbul gegen AKP-Kandidaten hatte ihn zum Hoffnungsträger der Opposition gemacht. Nach seiner Inhaftierung im März 2025 wegen Korruptions- und Terrorvorwürfen, die von vielen als konstruiert angesehen werden, kam es landesweit zu Protesten3.
Die CHP organisierte regelmäßig Kundgebungen, um Solidarität mit İmamoğlu zu zeigen. Seine Popularität und Mobilisierungsfähigkeit gelten als Bedrohung für die Regierung, die nun offenbar versucht, die Partei systematisch zu schwächen.
Eskalation in Istanbul und Izmir
Nach dem Gerichtsurteil kam es in Istanbul und Izmir zu massiven Protesten. Augenzeugen berichten von Tausenden Demonstranten, die sich vor Parteizentralen und Regierungsgebäuden versammelten. Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein, um die Menschenmengen aufzulösen.
In sozialen Medien kursieren Videos, die angeblich zeigen, wie Sicherheitskräfte gewaltsam gegen Demonstrierende vorgehen. Es gibt unbestätigte Berichte über verletzte und getötete Polizisten, doch offizielle Zahlen liegen bislang nicht vor.
Internetabschaltungen und Informationskontrolle
Mehrere Nutzer in Istanbul und Izmir berichten von eingeschränktem Internetzugang, insbesondere bei sozialen Medien und Messaging-Diensten. Dies erinnert an frühere Krisensituationen, in denen die türkische Regierung gezielt Kommunikationskanäle blockierte, um die Verbreitung von Protestaufrufen und Bildern zu verhindern.
Ob es sich um gezielte Abschaltungen oder technische Überlastungen handelt, ist derzeit unklar. Die CHP spricht von einem „Informationskrieg“ und wirft der Regierung vor, die Meinungsfreiheit massiv zu unterdrücken.
Juristische und politische Reaktionen
Verfassungsrechtler und Anwaltskammern kritisieren das Urteil scharf. Sie weisen darauf hin, dass ein Bezirksgericht nicht befugt sei, über die Legalität von Parteiwahlen zu entscheiden – dafür sei ausschließlich der Hohe Wahlrat zuständig.
Die CHP kündigte juristische Schritte gegen das Urteil an und erklärte, man werde die Parteizentrale in Istanbul nicht räumen. Der abgesetzte Vorstand hält das Gebäude weiterhin besetzt, während die von Erdoğan unterstützte Gegenführung versucht, die Kontrolle zu übernehmen.
Internationale Reaktionen
Nacho Sánchez Amor, Türkei-Berichterstatter des Europäischen Parlaments, äußerte sich nach einem Besuch bei İmamoğlu besorgt über die Lage. Er bezeichnete die Vorwürfe gegen den Bürgermeister als „konstruiert“ und sprach von einem gezielten Versuch, einen politischen Gegner auszuschalten.
Auch andere internationale Beobachter sehen die Entwicklungen als Zeichen für eine zunehmende Autoritarisierung der türkischen Regierung. Die EU und Menschenrechtsorganisationen fordern eine unabhängige Untersuchung und die Wiederherstellung demokratischer Prozesse.
Die Zukunft der CHP
Die CHP steht vor einer Zerreißprobe. Während die Parteibasis weiterhin hinter İmamoğlu und Özgür Özel steht, droht die juristische und politische Offensive der Regierung, die Partei zu spalten. Die Wiedereinsetzung des alten Vorstands unter Gürsel Tekin wird von vielen als Versuch gewertet, die Partei zu kontrollieren und zu schwächen.
Die kommenden Wochen werden entscheidend sein: Gelingt es der CHP, sich gegen die juristischen Maßnahmen zu wehren und die öffentliche Unterstützung zu mobilisieren, könnte sie gestärkt aus der Krise hervorgehen. Andernfalls droht ihr ein Bedeutungsverlust – und der türkischen Demokratie ein weiterer Rückschritt.
Fazit
Die Ereignisse rund um das Urteil gegen die CHP-Führung markieren eine neue Eskalationsstufe im politischen Machtkampf in der Türkei. Die Kombination aus juristischen Maßnahmen, Protesten, Internetkontrollen und mutmaßlicher Gewalt zeigt, wie fragil die demokratischen Strukturen im Land geworden sind.
Während die Regierung unter Erdoğan ihre Kontrolle ausweitet, steht die Opposition vor der Herausforderung, ihre Einheit zu bewahren und die Bevölkerung zu mobilisieren. Die internationale Gemeinschaft blickt mit wachsender Sorge auf die Entwicklungen – und auf die Frage, ob die Türkei noch den Weg der Demokratie beschreitet oder sich endgültig davon entfernt. | Bastian Schmidt mit KI